Rathaus Worms – Ernennung zum Ort der Demokratiegeschichte

 

Worms blickt auf eine demokratische und liberale Tradition, die mindestens bis zur Französischen Revolution zurückreicht. Als ein Höhepunkt gilt 1848 die Wahl von Ferdinand Eberstadt, wahrscheinlich der erste jüdische Bürgermeister in Deutschland.


Nach der Eroberung durch französische Revolutionstruppen in den Jahren 1792/93 wurde in Worms eine republikanische Munizipalitätsverwaltung installiert. Vor allem die städtischen Minderheiten der Reformierten und Katholiken engagierten sich dort gemeinsam mit aufgeklärten Lutheranern. Im März 1793 beteiligte sich ein Drittel der wahlberechtigten Bürger an den Wahlen. Gegen die Restauration der deutschen Fürsten nach dem Wiener Kongress beharrte man linksrheinisch auf den politischen Errungenschaften der französischen Zeit, die im „Code Civil“ bis Ende des 19. Jahrhunderts in der Region Geltung behalten sollten. Aus diesem andauernden Engagement entwickelte sich in der Märzrevolution von 1848 eine politische Meinungsführerschaft des republikanischen Demokratenvereins in der Region und auch in Worms. Der Kaufmann Ferdinand Eberstadt, bis 1847 Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde Worms, gehörte zum Vorstand der örtlichen Demokraten. Er war einer der Redner auf ihrer zentralen Volksversammlung für ganz Rheinhessen im August 1848 in Worms, an der über 12.000 Bürger teilnahmen. Entsptrechend des damaligen Wahlgesetzes wurde Eberstadt nach der Bürgermeisterwahl vom Januar 1849 von der großherzoglich-hessischen Landesregierung zum Bürgermeister ernannt. Er hatte dieses Amt bis zum Jahr 1852 inne. Er war damit der erste Jude in einem hessischen Bürgermeisteramt, wahrscheinlich sogar in ganz Deutschland. Im Gemeinderat wusste er während der gesamten Amtszeit eine demokratische Mehrheit hinter sich. Wegen seiner Beteiligung an der 1848er Revolution wurde er jedoch mehrfach durch die Landesregierung an der Ausübung seines Amtes gehindert. Anfang 1852 hob die Landesregierung die Direktwahl der Bürgermeister auf und führte das Dreiklassenwahlrecht auf kommunaler Ebene wieder ein. Eberstadt stellte daraufhin den Antrag, von seinem Amt entbunden zu werden. Im Jahr 1857 verzog er nach Mannheim, wo er sich in der Fortschrittspartei engagierte und Mitinhaber der „Neuen Badischen Landeszeitung“ wurde. Bei seinem Tod im Jahr 1888 ehrte ihn die linksliberale „Frankfurter Zeitung“ als entschiedenen Demokraten.

Der Bürgerhof (Ecke Hagenstraße/Bürgerhofgasse) entstand bereits im 13. Jahrhundert als Kern des heutigen Rathausbezirks und selbstbewusster Ort gegenüber dem Dom. Als das 1945 zerstörte Rathaus in den Jahren 1955-58 wiederaufgebaut wurde, erhielt das Eingangsportal des Neubaus am Marktplatz die Inschrift „Demokratischer Geist schuf diesen Bau“. Das hatte der damals amtierende Oberbürgermeister Heinrich Völker (SPD) auch in seiner Rede zur Einweihung betont. Der gelernte Buchdrucker war sowohl 1933 als auch 1936 als Gegner der NS-Diktatur inhaftiert gewesen und stellte sich mit dieser Formulierung in die Traditionslinie demokratischer Überzeugungen in Worms.

In Zusammenarbeit mit: Kulturkoordination der Stadt Worms, D. Maier

 

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