Fr. Dr. Theis-Scholz, als Dezernentin für Bildung und Kultur gehören Themen wie Demokratieförderung und Erinnerungskultur seit fast sechs Jahren zu ihrem Arbeitsbereich. Wo sehen Sie für unsere Demokratie derzeit die größten Herausforderungen?

Demokratisch herbeigeführten Entscheidungen gehen Aushandlungsprozesse auf der Grundlage von Diskussionen, Debatten und Konsensfindungen vorher. Einigungen und Kompromisse müssen dabei mehrheitlich getroffen werden und dies verlangt Akzeptanz und Respekt hinsichtlich solcher Entscheidungsfindungen, auch von denjenigen, die unter Umständen Nachteile in Kauf nehmen müssen. Dazu bedarf es großer Überzeugungskraft und die erkennbaren Bemühungen von Entscheidungsträgern, möglichst bei jedermann Verständnis zu wecken und Einsicht und Nachvollziehbarkeit zu erzeugen. Dies sind keine trivialen Vorgänge, sondern in weiten Teilen mühsam und nur kleinschrittig zu bewerkstelligen.

Was war für Sie das prägendste Ereignis der vergangenen 18 Monate?

Ein ermutigendes Ereignis war die Wahl des amerikanischen Präsidenten Biden. Sie hat gezeigt, dass demokratische Grundüberzeugungen trotz der in vielen Dingen beängstigenden Regierungsperiode seines Vorgängers, beim Wahlverhalten der Amerikaner wieder mehrheitlich in der Bevölkerung Zustimmung und Befürwortung erhielten. Das Scheitern der Versuche der westlichen Welt in Afghanistan sowohl durch kriegerisches Eingreifen als auch durch zivile Unterstützung beim Aufbau von demokratischen Strukturen in diesem gebeutelten Land, empfinde ich angesichts der derzeitigen Lage dagegen als wirkliches Desaster. Da die Situation bezüglich der künftigen Entwicklung in Afghanistan in den kommenden Monaten extrem schwierig einzuschätzen ist, sind auch jegliche Anstrengungen zur Stärkung von demokratischen Bestrebungen und Initiativen in dem Land nur sehr bedingt als aussichtsreich oder Erfolg versprechend einstufbar. Angesichts einer derartigen Gesamtlage darf man jedoch nicht in Mutlosigkeit hinsichtlich möglicher Interventionen zugunsten der dortigen Bevölkerung verfallen, sondern politisch Wege zur Verbesserung der Lebensbedingungen ausloten.

Man könnte den Eindruck gewinnen, dass die vergangenen 1 ½ Jahre der Bekämpfung der Corona-Pandemie, die Menschen in Deutschland eher auseinander gebracht haben. Würden Sie diese Ansicht teilen und woran kann man das festmachen?

Viele Menschen finden sich in unserer modernen durch Globalisierung, Digitalisierung und Schnelllebigkeit gekennzeichneten Gesellschaft nur schwer zurecht. Sie sind einerseits mit größerer individueller Entscheidungsfreiheit konfrontiert, andererseits durch zunehmende persönliche Risiken oftmals verunsichert und orientierungslos. Vorhandene Zukunftsängste und Existenzgefährdungen können so zum Nährboden für demokratiefeindliche Strömungen und Entwicklungstendenzen werden, welche sich diese Ausgangslagen für ihre Ziele zunutze machen. Eine weitere Herausforderung in unserer von Zuwanderung geprägten Gesellschaft besteht darin, dass die Menschen, die aus Herkunftsländern flüchteten oder diese verließen, in denen sie kein Zutrauen zu einer verlässlichen, sie schützenden Regierung entwickeln konnten und denen Erfahrungen in Demokratie geprägten Systemen fehlen. Sie müssen positive Partizipationserfahrungen sammeln und in Entscheidungsprozesse in ihrem Umfeld eingebunden sein um sich diese aneignen zu können. Diese Ansicht, dass es Menschen in Deutschland eher auseinandergebracht hat, teile ich nicht: In den vergangenen 1 ½ Jahren hat unsere Gesellschaft sich doch eigentlich überwiegend robust gezeigt und hohe Solidarität gegenüber den schutzbedürftigen und vulnerablen Bevölkerungsteilen gegenüber aufgebracht. Dass die Bereitschaft zur Rücksichtnahme und das Durchhaltevermögen nun nachzulassen drohen, ist meines Erachtens der Zeitdauer geschuldet und der Hoffnung auf wiederkehrende Freiheiten, die mit der Wirkung der Impfquote verbunden wird.

Viele Menschen scheint man gar nicht mehr zu erreichen. Was kann einem Ihrer Ansicht nach Hoffnung geben, dass es gelingen kann, den gesellschaftlichen Zusammenhalt wiederzugewinnen?

Eine der wesentlichen Tragsäulen eines gesellschaftlichen Zusammenhalts ist ein erfolgreiches Bildungssystem, in dem es gelingt, Aufklärung und einen hohen Standard an Informationstransparenz und -verfügbarkeit zu gewährleisten. Je mehr Menschen Einsicht und Einblick in die anstehenden großen Herausforderungen, vor der die gesamte Menschheit steht, nämlich Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit weltweit als vorrangigste Ziele zu verfolgen, desto eher lassen sich auch Einigungen auf gemeinsame Problemlösungen finden, Lobbyismus und einseitige Interessenwahrnehmungen verhindern und ein Auseinanderdriften von gesellschaftlichen Gruppierungen vermeiden. Junge Menschen haben die Priorität von gesamtgesellschaftlichen und erforderlichem weltweitem gemeinschaftlichem Handeln erkannt. Dies finde ich sehr hoffnungsvoll für das Zusammenleben der künftigen Generation.  

© Stadt Koblenz
In der Stadt Koblenz sind Sie sehr aktiv für das Thema Demokratie unterwegs. Was planen Sie derzeit an Aktivitäten und auf welchen Wegen erreichen Sie die Menschen?

Mit der Teilnahme an dem Bundesprogramm „Demokratie leben“ und den „Koblenzer Wochen der Demokratie“ ist es uns in den vergangenen Jahren gelungen, sowohl ein stetig sich erweiterndes Netzwerk von Akteur*innen zu gewinnen, die ihrerseits Multiplikatoren für weitere Teile der Öffentlichkeit bilden und so einen Beitrag leisten um Demokratie fördernde Bedingungen und Strukturen in unserer Stadt zu unterstützen. Mit den vielfältigen Formaten, ob bei Vorträgen, Diskussionen, Filmvorführungen, Theaterstücken, Aktionen und Veranstaltungen jedweder Art wollen wir Bewusstsein dafür erzeugen, dass Demokratie keine selbstverständliche Staatsform ist, sondern eine liberale, freie und tolerante Stadtgesellschaft auch wehrhaft und couragiert für deren Erhalt und Stärkung eintreten muss, wenn diese gefährdet scheint.  

Aktion Koblenzer Wochen der Demokratie
© Stadt Koblenz
Warum ist gerade Ihre Stadt in Sachen Demokratie so aktiv? Was zeichnet Koblenz hier besonders aus?

Ein Erfolgselement unserer Aktivitäten in Koblenz ist sicherlich, dass uns vor einigen Jahren ausgehend von einer Initiative mit Beteiligten u.a. aus den Bereichen der Kultur, der Presse, Bildungseinrichtungen usw. zum einen ein Fundament für ein vor-Ort-Bündnis zur Demokratiestärkung gelungen ist. Zum anderen konnten wir mit einem aktiven Netzwerkausbau und der Einbindung diverser weiterer gesellschaftlicher repräsentativer Gruppierungen dieses vergrößern und durch die Teilnahme am Bundesprogramm „Demokratie leben!“ auch Mittel erhalten, um die Öffentlichkeitsarbeit zu vertiefen. Wir berücksichtigen bewusst und gezielt die Heterogenität unserer Gesellschaft im Spektrum des ganzjährigen Veranstaltungskalenders, über das wir auf der Hompage www.wozu-demokratie.de aktuell informieren. Aktionen und Veranstaltungen wie die auf Häuserwände projizierten Demokratiezitate oder die diesjährige Street Painting Aktion sowie die Nutzung von Plakatwänden zielen darauf ab, im öffentlichen Raum die Begegnung mit dem Thema „Demokratie“ für Passanten und Vorbeifahrende zu ermöglichen und Impulse für eine reflektierte individuelle Auseinandersetzung und Meinungsbildung anzuregen.

© Stadt Koblenz
Welche Rolle spielt dabei für Sie die Vernetzung mit anderen Menschen, die sich für ähnliche Themen stark machen? Im Bündnis „Demokratie gewinnt!“ setzen wir uns für frühes Erlernen von Beteiligung und von Partizipationsmöglichkeiten junger Menschen ein. In diesem Bereich haben wir viele Schwierigkeiten während der Pandemie bemerkt und junge Menschen wurden unserer Ansicht nach wenig gehört. Wie können wir das verbessern und welche Lehren können wir dabei aus der Pandemie und ihrer bisherigen Bekämpfung ziehen?

Aufgrund der Schulschließungen in den vergangenen Monaten und die Pandemie bedingten Einschränkungen des Schulbetriebs waren viele schulische Aktivitäten und Projekte zur Ermöglichung von Verantwortungslernen und partizipativer Elementarerfahrung in einer schulischen Gemeinschaft erheblich erschwert und schwierig umsetzbar. Vor allem mit den in Koblenz inzwischen zertifizierten „Schulen ohne Rassismus- Schulen mit Courage“ haben wir eine wachsende Zahl von Bildungseinrichtungen, die sich im Rahmen ihres schulischen Profils für die Einhaltung von Respekt und Toleranz im Miteinander engagiert einsetzen. Aber auch die in Rheinland-Pfalz durch die Schulgesetzänderung forcierten direkten Beteiligungsmöglichkeiten bei innerschulischen Entscheidungen stärken Kinder und Jugendliche in ihrem Interesse für Demokratie und eröffnen uns als Schulträger vielfältige Möglichkeiten und Anlässe der Zusammenarbeit in diesem für die staatsbürgerlich so entscheidende Lebensphase.

Seit Anfang 2020 sind Sie und Ihre Kollegin Clara Jung stellvertretend für die Stadt Koblenz als Mitglied im Bündnis „Demokratie gewinnt!“ unsere Ansprechpartnerinnen. Dabei engagieren Sie sich u.a. in der AG Erinnerungs- und Lernorte der Demokratiegeschichte. Warum ist diese Arbeit für Sie so wichtig und worin liegt der Mehrwert der Bündnisarbeit für Ihre Tätigkeit?

In regelmäßig stattfindenden Themenrunden zur Erinnerungskultur wurde ein Arbeitszusammenhang von unterschiedlichen Akteuren als Vertreter von Vereinen, Verbänden und Initiativen ins Leben gerufen, die sich mit historischen Dimensionen des Kulturraums Koblenz befassen. In der Themenrunde werden relevante Inhalte der Erinnerungskultur thematisiert und identifiziert. Damit soll ein funktionierendes Netzwerk auf- und ausgebaut werden, das als eine wesentliche Grundlage zur Aufrechterhaltung eines historischen Interesses und geschichtlichen Bewusstseins Koblenzer Bürgerinnen und Bürgern beitragen soll. Durch die Vernetzung und Einbeziehung diverser Einrichtungen kann damit eine sinnvolle Verknüpfung unterschiedlicher historischer Zugänge aus historischer Forschung und der Aufarbeitung geschichtlicher Geschehnisse entstehen und so Gesamtzusammhänge geschichtlichen Werdens und Entstehens für die Zivilgesellschaft verstehbar, erleb- und erfahrbar werden lassen. Koblenz besitzt als historisch bedeutsame Stadt auch relevante Orte der Demokratiegeschichte insbesondere mit Blick auf die jüngere Landesgeschichte. Diese wollen wir kenntlich machen durch sowohl die jüngst erhaltene offizielle Auszeichnung des Rittersturzes als „Ort der Demokratiegeschichte“ sowie einen in der Innenstadt angelegten Rundgang mit Hörstationen zu Informationen an immer noch erhaltenen Gebäuden und deren historischer Einordnung. Auch die Entwicklung der Stolperstein-App, die in diesem Jahr anlässlich des Jubiläums „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ starten wird, zeigt drei Gedenkrouten durch Koblenz entlang ausgewählter Stolpersteine und ermöglicht Einblicke in die Biografien Koblenzer Mitbürger*innen, die Opfer des Nationalsozialismus wurden. So wird Geschichte erfahrbar, die steinerne Umgebung über die persönlichen Geschichten lebendig, das unvorstellbare Leid der Opfer des Nationalsozialismus aus seiner Abstraktheit gerissen, indem Geschichte und der eigene Standort eine Verbindung zueinander herstellen. Auch die Projekte „Zeitkapsel“ und „Zeit-Fenster“ wurden so konzipiert, dass diese kritische Reflexionen von den jeweils aktiv Mitwirkenden zur Gegenwartsgeschichte und der Wahrnehmung von demokratischen Strukturen und Bedingungen wiedergeben können. Leitfragen sind dabei: Welche demokratischen Beteiligungsformen in der Stadt Koblenz überzeugen mich? Womit hat die Demokratie in Koblenz zu kämpfen? Welche Strömungen gefährden demokratische Strukturen? In welchen Bereichen sollte die Zivilgesellschaft in Koblenz mehr Beteiligung und Mitbestimmung einfordern und wie stellen sich die Mitwirkenden eine demokratisch geprägte Stadt Koblenz im Jahr 2030 vor? Als Mitglieder im Bündnis „Demokratie gewinnt!“ verbinden wir eine weitere produktive Netzwerkerweiterung, stärkende neue Kontakte und Beziehungen ebenso wie weiterführende Anregungen und Impulse für unsere eigene Arbeit in der Demokratieförderung in unserer Stadtgesellschaft.