Neues aus der Landeskoordinierungsstelle

Zusammenfassung der Digitalen Themenwoche des Demokratiezentrums 2023: „Vom Suchen und Finden – Funktionen von Extremismen“

Warum wenden sich Personen Extremismen zu? Was suchen und finden Menschen im Extremismus?

Diese und viele weitere Fragen wurden in der digitalen Themenwoche des Demokratiezentrums Rheinland-Pfalz vom 12. bis 16. Juni 2023 untersucht. An fünf Tagen teilten in einem jeweils 2-stündigen Vortrags- und Diskussionsangebot Dana Buchzik, Winnie Plha, Judith Rahner, Hanna Börgmann und Roland Imhoff ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse und Perspektiven zu den diversen Funktionen von Extremismen mit den Teilnehmenden.

Aus psychodynamischer, Gender und psychologischer Perspektive betrachteten die Referierenden die Funktionen von Extremismen und welche praktischen Handlungsmethoden sich daraus für den gesellschaftlichen Umgang, wie auch für die Arbeit von Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe, politischen Bildung und der Extremismusprävention ergeben.

„Haben Sie sich schon einmal die Frage gestellt, was eigentlich der Zauber radikaler Ideologien ist? Und warum wir Familie und Freunde an radikale Ideologien verlieren?“ Dana Buchzik, Journalistin, Kommunikationsberaterin und Autorin, schlug in ihrem Vortrag eine Brücke zwischen Erkenntnissen der internationalen Forschung zu radikalen Ideologien und konkreten, alltagsnahen Strategien im produktiven Umgang mit sich radikalisierenden Personen. Als Journalistin und Kommunikationsberaterin liegen ihre Schwerpunkte auf praktischen (Handlungs-) Empfehlungen zum Umgang mit radikalisierten Personen – offline und online. Denn in beiden Welten begegnen uns Menschen, die sich radikalisiert haben. Einer ihrer zentralen Tipps für den offline – sowie den online – Raum war beispielsweise, keine Gegenrede auf Kommentare bei Social Media zu leisten und somit auch nicht in den Verteidigungs- und Aufklärungsmodus zu verfallen. Vielmehr ist für Dana Buchzik gerade in der Online-Welt das Empowern von Betroffenen eine hilfreiche Strategie für eine konstruktive Kommunikation mit Radikalen. Eine zentrale Perspektive ist hierbei die Adressierung der Personen, wenn möglich, auf einer Beziehungsebene.

Mit der Frage, warum sich (junge) Menschen extremistischen Gruppen anschließen, beschäftigte sich der Vortrag von Winnie Plha, Sozialwissenschaftlerin und stellvertretende Geschäftsführerin Denkzeit-Gesellschaft e. V., aus einer psychodynamischen Perspektive. Radikalisierung mache Sinn, ohne radikale Ideen scheine gesellschaftliche Weiterentwicklung für Radikalisierte nicht möglich. Dennoch gebe es Radikalisierungsphänomene, die aufgrund ihrer demokratiefeindlichen Ausrichtung und Nähe zum Extremismus zur Gefahr werden könne. Plha zeigte dabei eindrucksvoll auf, warum manche junge Menschen aufgrund ihrer psychosozialen Struktur scheinbar besonders gefährdet sind, sich zu radikalisieren. Zugleich ist psychosoziales Wissen in der Jugendarbeit hilfreich, um innere Prozesse und Konflikte sowie die daraus entstehenden Beziehungsdynamiken besser zu verstehen. Abschließend erklärte Plha die Möglichkeiten nachhaltiger Distanzierung von radikalisierenden Ideologien und verlässliche, haltgebende Beziehungsgestaltung als Grundbaustein pädagogischer Intervention.

Am dritten Tag der digitalen Themenwoche gab Judith Rahner einen Einblick in das Themenfeld Gender und Rechtsextremismus. Denn „Rechtsextremismus ist (auch) eine Frau.“ In der Gesellschaft werden rechte Frauen nur selten wahrgenommen, dabei tauchen sie dort genauso auf. Die Referentin studierte Gender-Studies, Musik- und Erziehungswissenschaften und ist Leiterin der Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus bei der Amadeu Antonio Stiftung. In ihrem Vortrag zeigte sie die Rolle von Frauen und Geschlecht im Rechtsextremismus in unterschiedlichen Lebens- und Gesellschaftsbereichen auf – Einstellungen, Wahlverhalten, Organisationsgrad, Parteizugehörigkeit und Beteiligung an rechts-motivierten Straftaten. Frauen werden per se als unpolitischer gesehen, obwohl rechtspopulistische Einstellungen gleichermaßen von Männern wie auch von Frauen geteilt werden. So stimmen Frauen genauso oft Rassismus zu wie Männer. Zudem sind rechte Frauen von einer sogenannten „doppelten Unsichtbarkeit“ betroffen. Damit wird die Ausblendung der Beteiligung an Gewalttaten mit politischen Hintergrund von Frauen sowie die Tatsache, dass auch Frauen Teil von rechter Gewalt sind, beschrieben. Judith Rahner sieht hier ein Wahrnehmungsdefizit gegenüber rechten Frauen und die Forschung zu Geschlecht und Rechtsextremismus stecken noch in den Kinderschuhen. Mit der Illustration der diversen Motivlagen, warum sich Frauen und Mädchen dem Rechtsextremismus zuwenden, beendete Rahner ihren Input.

Wir alle kennen große Online-Plattformen wie Facebook, Instagram, WhatsApp und Co. Doch es gibt auch noch viele andere, kleinere Plattformen, die weiten Teilen der Gesellschaft nicht bekannt sind. Wie diese sogenannten „alternativen“ Plattformen genutzt werden und welche Rolle sie in Radikalisierungsprozessen spielen, bleibt für viele im Verborgenen. Das Institute for Strategic Dialogue Germany hat verschiedene Online-Subkulturen näher untersucht. Die Ergebnisse stellte Hanna Börgmann, Expertin für rechte Onlineradikalisierung und Leitung des Forschungsprojekts „Radikalisierung in rechtsextremen Online-Subkulturen entgegentreten“ in ihrem Vortrag vor.

Im Fokus der extremen Rechten sind neben dem Messengerdienst Telegram, Dienste wie Bitchute, Gettr, PeerTube und Odysee weitere alternative und Blockchain-basierte Plattformen. Sie sind wesentlicher Bestandteil der Online-Mobilisierung, Vernetzung und Kommunikation der Rechten und in der Lage, digitale Mobilisierung in wirksame Offline-Aktionen umzuwandeln. Sie bieten den Nährboden zur Verbreitung demokratiefeindlicher Inhalte oder gewaltvoller Übergriffe bis hin zu Terroranschlägen.

Roland Imhoff nahm die Teilnehmenden am letzten Tag der digitalen Themenwoche mit in die Welt der Verschwörungserzählungen. Seit über zehn Jahren forscht der Psychologe und Professor für Sozial- und Rechtspsychologie Roland Imhoff u. a. an der Universität Mainz zu Verschwörungsglauben und speziell der dahinterstehenden allgemeinen Weltsicht (Verschwörungsmentalität). Neben vielfältigen Begriffen, die es im Themenfeld der Verschwörungsglauben gibt, erläuterte Roland Imhof die psychologischen Bedürfnisse, die diese für Menschen erfüllen, um sich die Welt zu erklären und zugänglich zu machen. So stellte der Referent fest, dass Verschwörungstheorien Erklärungen und Begründungen sowie Handlungsmöglichkeiten für das Leben liefern. Die Folge ist eine Kontrollillusion. Verschwörungsglaube gedeiht, wenn Menschen das Gefühl geringer Kontrolle oder sogar eines Kontrollverlustes über ihr Leben haben. Ebenso werden auch soziale, existentielle und epistemische Bedürfnisse von Verschwörungsnarrativen übernommen. Abschließend thematisierte Roland Imhoff, ob Verschwörungsglauben das Versprechen der Befriedigung dieser Bedürfnisse effektiv einlöst.

Die Digitale Themenwoche 2023 eröffnete vielfältige Perspektiven auf die verschiedenen gesellschaftlichen sowie individuellen Funktionen von Extremismus. Die Referierenden und Teilnehmenden ermöglichten mit ihren wichtigen Beiträgen ein vielschichtiges Bild der unterschiedlichen Funktionen und Zugänge zu Extremismen, aber auch der Eröffnung von Handlungsmöglichkeiten für die Gesellschaft, Soziale Arbeit, politische Bildung und Extremismusprävention.

 

Für weiterführende Informationen finden Sie hier eine kleine Literatursammlung: