Drucksache 18/3575

01.07.2022

Antrag

der Fraktionen der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP

 

Demokratiebildung an Schulen und Kitas weiter intensivieren

 

I. Der Landtag Rheinland-Pfalz stellt fest:

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine stellt einen Einschnitt dar: Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg wird innerhalb Europas ein souveräner Staat von einem anderen Staat mit militärischen Mitteln bekämpft. Der Krieg bringt unsägliches Leid sowie Zerstörung. Er ist gleichzeitig ein Angriff auf unsere demokratische Lebensweise und unsere freiheitlichen Werte wie Freiheit, Vielfalt, Solidarität und Selbstbestimmung. Eine Antwort auf diesen Krieg muss daher sein, unsere Werte zu verteidigen und sie immerzu in unser aller Bewusstsein zu rücken. Jede Form der Missachtung freiheitlich-demokratischer Regeln des Zusammenlebens und Menschenfeindlichkeit dürfen in unserer Gesellschaft keinen Platz haben.

Während der mörderischen Zeit des Nationalsozialismus sind viele Millionen Menschen verfolgt, vertrieben und getötet worden. Unsere Geschichte erinnert uns tagtäglich daran, zu was ein totalitäres und demokratiefeindliches Regime in der Lage ist. Unsere Geschichte ist Erinnerung und Mahnung, uns stets für eine offene, vielfältige und demokratische Gesellschaft einzusetzen.

Aus diesen Gründen werden wir als Ampel-Koalition die Demokratiebildung an Schulen und Kindertagesstätten weiter intensivieren. Unser Ziel ist, die Basis für unsere Gesellschaft, für unsere Werte und den sozialen Zusammenhalt zu schützen und stets zu erneuern.

Demokratieerziehung muss aus unserer Sicht bereits in den Kindertagesstätten und Schulen intensiv verfolgt werden: Denn die Kinder und Jugendlichen von heute gestalten die Gesellschaft von morgen. Bereits junge Menschen sollen eine demokratische Kultur erfahren, die auf der Wertschätzung eines jeden Menschen unabhängig von Herkunft, Aussehen, Alter, Religion, geschlechtlicher Identität, sexueller Orientierung oder Behinderung basiert. Unser Ziel ist es, dass Kinder und Jugendliche zu demokratischen Bürger:innen reifen, die den Wert und die Verletzlichkeit unserer Demokratie kennen.

Neben der Wissensvermittlung geht es vor allem darum, dass „Demokratie lernen“ heißt, Demokratie zu leben. Nur so können Kinder und Jugendliche nachhaltig erfahren, wie unverzichtbar ein demokratisches Miteinander, ein respektvoller Umgang sowie die wechselseitige Achtung sind. Von besonderer Bedeutung für die Vermittlung von Wissen über demokratische Prozesse sind die gesellschaftswissenschaftlichen Schulfächer (Geschichte, Sozialkunde, Erdkunde, Gesellschaftslehre), die fächerübergreifend wirken. Aber auch in den anderen Fächern wird demokratisches Wissen und demokratisches Handeln gelehrt und in der gesamten Schulgemeinschaft interdisziplinär gelernt. Durch das neue Schulgesetz, das der Landtag in der letzten Legislaturperiode verabschiedete, sind weitere Elemente zur Stärkung der demokratischen Gestaltung verankert worden, die diese unterrichtlichen Lerninhalte noch untermauern.

In jeder Schule muss fächerübergreifend deutlich werden, wie unverzichtbar Demokratie ist, dass sie nicht selbstverständlich ist und aktiv erlernt und gelebt werden muss. So können Kinder und Jugendliche dafür gestärkt werden, als mündige Bürger:innen der immer wieder drohenden Spaltung der Gesellschaft entgegenzutreten und unsere freiheitlich-demokratischen Grundwerte zu verteidigen.

 

II. Der Landtag begrüßt,

  • den Ausbau der Demokratiepädagogik in Kindertagesstätten als Grundlage zur Einübung von Partizipation und von Werten der Toleranz;
  • die Festschreibung einer Beteiligungs- und Beschwerdekultur unterstützt durch die flächendeckende Einführung des neuen Partizipationsgremiums Kita-Beirat;
  • die Studie zur Sensibilität gegenüber rassistischen und verwandten Ausgrenzungsmustern in Kitas und darauf aufbauend die Weiterbildung zur Fachkraft für Diversität und Rassismus-Sensibilität;
  • die Unterstützung von Konsultationskitas, welche für eine Theorie-PraxisVerzahnung auch im Themenfeld Demokratieerziehung und Vielfaltspädagogik sorgen;
  • die Ausweisung von Ansprechpersonen im Sozialpädagogischen Fortbildungszentrum (SPFZ) und im Institut für Lehrerfort- und -weiterbildung (ILF) zur Erstberatung der Kitas bei diskriminierendem Verhalten;
  • die Etablierung eines Arbeitskreises „Demokratiepädagogik in Kitas“, unter Beteiligung der Kita-Spitzen;
  • die Ausweitung des Sozialkundeunterrichts, insbesondere die Erhöhung des Stundensatzes in der Sekundarstufe I von drei auf fünf Stunden, was rund 50 zusätzliche Stellen für Sozialkunde-Lehrkräfte bedeutet;
  • die Anpassung der Lehrpläne für die Fächer Erdkunde, Geschichte und Sozialkunde;
  • die Etablierung eines jährlichen Demokratietags an allen weiterführenden allgemeinbildenden Schulen und den massiven Ausbau der Unterstützung durch die Fortbildungsinstitute;
  • den Dreiklang schulischer Demokratiebildung als Gesamtkonzept bestehend aus drei Säulen: Erinnern an die Verbrechen der Nazidiktatur und das historisch-kritische Bewusstsein für unsere Geschichte und die Lehren daraus (1. Säule), Demokratie in der Schule lernen und leben (2. Säule) sowie „Europäisches Miteinander“ (3. Säule);
  • die Förderung schulischer Gedenkarbeit, sodass alle Schüler:innen im Laufe ihrer Schullaufbahn mindestens einmal eine Gedenkstätte besucht und/oder eine Zeitzeugin/einen Zeitzeugen getroffen haben;
  • die Schaffung einer neuen „Koordinierungsstelle für schulische Gedenkarbeit und Zeitzeugenbegegnungen“ im Pädagogischen Landesinstitut;
  • die verpflichtenden Besuche von Gedenkorten für alle Lehramts-Anwärter:innen;
  • die Kooperationsvereinbarung mit der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem;
  • die Einführung eines AzubiBac-Pro im Bereich der berufsbildenden Schulen;
  • die Etablierung der Gemeinsamen Lehrkräfteausbildung mit der Partnerregion Bourgogne-Franche-Comté;
  • den Start des Projekts „Demokratiebildung an berufsbildenden Schulen“;
  • das Engagement vieler Schulgemeinschaften im Projekt „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“;
  • die große Beteiligung von Schulen an den Demokratieangeboten des Landtags wie zum Beispiel zum Schulbesuchstag und dem Schülerlandtag;
  • dass die Landesregierung Austauschprogramme und Schulpartnerschaften unterstützt und neue Kooperationen mit weiteren Ländern eingeht, sodass Schüler:innen durch persönliche Begegnungen mit Menschen aus anderen Ländern interkulturelle Kompetenzen verfestigen können.

 

III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  • zu prüfen, wie die Sichtweisen und Anliegen der Kinder noch besser im Kita-Beirat eingebracht werden können;
  • Kita-Leitungen bei deren herausfordernder Aufgabe der Weiterentwicklung der Beteiligungs- und Beschwerdekultur zu unterstützen;
  • die Demokratiepädagogik im Lehrplan für die Fachschule Sozialpädagogik weiter zu stärken;
  • Austausch- und Begegnungsprogramme weiter zu stärken;
  • Sozialkunde-Unterricht unabhängig von der Fächerkombination in der Oberstufe für alle Schüler:innen anzubieten;
  • Elternmitwirkung an Demokratieerziehung zu fördern und zu prüfen, wie durch gezielte schulische Angebote deren Mitwirkung gestärkt wird;
  • Schulen dabei zu unterstützen, sich als Demokratielernorte am landesweiten Demokratietag zu beteiligen;
  • die Etablierung von weiteren gezielten Fortbildungsangeboten für alle Lehrkräfte;
  • den Ausbau der Zusammenarbeit mit dem Landtag und außerschulischen Partnern;
  • die Entwicklung eines neuen Musterkonzepts für Demokratiebildung an Berufsbildenden Schulen;
  • die systematische Implementierung von Beteiligungs- und Anerkennungskultur in der schulischen Qualitätsentwicklung weiter zu stärken;
  • zeit- und schülergemäße Angebote der Geschichtsvermittlung weiterzuentwickeln, etwa durch digitale Formate sowie hybride Formen des Lehrens und Lernens in Zusammenarbeit mit außerschulischen Lernorten wie Gedenkstätten oder Archiven;
  • zu prüfen, wie das wichtige Programm „Schulen ohne Rassismus, Schulen mit Courage“ gestärkt und zur besseren Unterstützung der Schulen vor Ort die regionalen Koordinierungsstellen und das Angebot von Online-Workshops weiter ausgebaut werden können;
  • sicherzustellen, dass bei der Überarbeitung der gesellschaftswissenschaftlichen Lehrpläne Demokratiebildung berücksichtigt und aktuelle Herausforderungen (z. B. Umgang mit Fake News, Hatespeech, Verschwörungstheorien, europäische Entwicklungen, Migrationspolitik, Pandemien) zeitgemäß behandelt werden;
  • Demokratiebildung und Partizipation auch bei der Initiative „Schule der Zukunft“ mitzuberücksichtigen;
  • das Netzwerk der Europaschulen und das Netzwerk der Modellschulen für Demokratie und Partizipation weiter auszubauen
  • das erfolgreiche Landesprogramm „Medienkompetenz macht Schule“ auch in den Grundschulen zum Standard zu machen;
  • sich für die Herabsetzung des Wahlalters in Rheinland-Pfalz auf 16 Jahre einzusetzen, um Jugendlichen auch an der Wahlurne die Chance demokratischer Mitbestimmung zu ermöglichen

 

Für die Fraktion der SPD: Martin Haller

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Pia Schellhammer

Für die Fraktion des FDP: Marco Weber